Die Corona-Pandemie hat für zahlreiche Schüler erhebliche Probleme mit sich gebracht. Die Zahl jener, die außerhalb der Schule professionelle Lernhilfe in Anspruch nehmen müssen, hat zugenommen. „Es ist im Durchschnitt ein Schuljahr, das die Mädchen und Jungen insgesamt durch die Pandemie verloren haben. Und das holt man nicht so schnell auf“, sagt Holger Liß, Chef der Nachhilfeeinrichtung Abacus. Von Hamburg bis nach Schleswig-Holstein und Mecklenburg – das ist der Bereich, in dem Abacus aktiv ist – sei es das gleiche Bild.
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Liß macht einen Vorschlag, der wahrscheinlich nicht jedem gefällt: Um ein Schuljahr aufzuholen, bräuchte es mindestens ein halbes Jahr, am besten Einzelunterricht. Und die Ferien inklusive. Denn gerade dort könnte man das Lernen gut einbauen, und es seien auch keine Belastungen mit neuem Stoff zu erwarten, sagt Liß. Die Bereitschaft der jungen Leute, sich auch nach dem Unterricht und in den Ferien an den Lernstoff zu setzen und professionelle Hilfe anzunehmen, sei überwiegend da.
Mathematik steht ganz oben auf dem Stundenplan der Mädchen und Jungen. Und das nicht allein in der Schule, sondern eben vor allem beim Nachhilfeunterricht. Dieses Fach spielt von der 1. bis zur 12. Klasse eine große Rolle. Corona hat vor allem die jüngeren Schüler aus den 3. und 4. Klassen zurückgeworfen, hat Holger Liß erfahren. „Und wenn man Mathe schon in der Grundschule nicht beherrscht, dann zieht sich das durch alle weiteren Schuljahre“, sagt Liß.
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Deshalb bietet seine Nachhilfeeinrichtung Einzelunterricht an. Die Lehrer würden zu den Schülern nach Hause fahren. „Dadurch, dass es spürbar mehr Schüler geworden sind, die Nachhilfe bei uns nehmen – und ich weiß, dass es bei anderen Anbietern auch Steigerungen gibt – haben wir auch beim Personal aufgestockt“, sagt er. Die Riesenlücken beim Grundwissen seien auch durch den „mangelnden oder gar nicht erfolgten Online-Unterricht vor allem zu Beginn der Pandemie“ entstanden. Deutlich mehr Schüler seien es bei der Nachhilfe an den Abacus-Standorten geworden – in Neustrelitz, Neubrandenburg, in ganz MV und Brandenburg.
Auch bei den Schülern der 7. bis 9. Klassen sei mehr Nachhilfe gefragt. „Nun ist das schon im normalen Präsenzunterricht mit der Pubertät kein Zuckerschlecken, aber die Isolation und die nötige Nachhilfe verstärken dies oft. Zudem passen sich staatliche Schulen in Deutschland nach unten hin an die Schüler an: Fördern für diejenigen, die es drauf haben, ist oft nicht mehr möglich. Auch das ist für betroffene Schüler ein Problem mit Konsequenzen. All das erfahren meine Kollegen in diesen Tagen verschärft“, fasst Holger Ließ zusammen.
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Ein Lob schickt er an die Landesregierung in Schwerin: „Der Betreuungsschein, der es allen Schülern aus allen Schichten erlaubt, 30 Schulstunden gefördert zu werden, ist eine beinahe einmalige Sache. Hamburg macht das nicht und Schleswig-Holstein nur in sehr geringem Umfang.“ Mit den 18,75 Euro pro Schüler und Stunde sei zwar nicht alles gedeckt, aber auch da sei für sozial schwache Familien nachgebessert worden, sagt Nachhilfe-Chef Liß.
Offensichtlich gibt es bei der Nachhilfe aber ein Gefälle zwischen Stadt und Land. Denn Steffi Jacobs kann das Lob von Liß nicht bestätigen. Die Chefin der Jacobs Nachhilfe in Anklam sagt in einem Gespräch mit dem Nordkurier: „Um qualitativ hochwertige außerschulische Bildung anzubieten, sind die vom Land angesetzten 18,75 Euro pro Einheit und Kind bei Weitem nicht ausreichend. Damit die Anbieter mit dem Fördersatz auskommen, müssten sie Gruppen von mindestens sechs bis acht Schülern bilden. Die aber kommen, zumindest wenn sie didaktisch vertretbar und damit in Alter, Fach und Schultyp homogen sein sollen, im ländlichen Raum nicht zusammen. Junge Menschen aus sozial benachteiligten Familien werden so aus der außerschulischen Bildung ausgegrenzt“, befürchtet Steffi Jacobs.
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Dem Bildungsministerium ist diese Kritik nicht neu. Deshalb sei das Programm für digitale Angebote geöffnet worden, heißt es. Darüber hinaus werde derzeit daran gearbeitet, das Förderprogramm in Bezug auf den Anbieterkreis generell bundesweit zu öffnen. Online-Nachhilfe allerdings ist nach Ansicht von Steffi Jacobs auch nicht immer eine Lösung wegen des vor allem auf dem Lande oft nicht brauchbaren Internets.
Steffi Jacobs kann aber einen Anstieg der Anzahl an Nachhilfeschülern aller Altersklassen bestätigen. Seit 1998 betreibt sie gemeinsam mit ihrem Mann Hendrik die Nachhilfeeinrichtung. Inzwischen gehörten zehn Honorarkräfte zum Team. Corona habe aber nicht nur die Schüler, sondern auch Schulen wie ihre ausgebremst. „Sechs Wochen hatten wir komplett dichtmachen müssen. Das reißt immer Lücken. Beim Einzelunterricht wie in den Gruppen“, hat sie erfahren.
Mathe ist ihr Fach und spielt im Alltag bei den Schülern eine wichtige Rolle – wenn auch nicht immer beliebt. „Der Bedarf an Nachhilfe nimmt generell mit den höheren Klassen zu. Allerdings waren es vor Corona weniger Grundschüler. Zu uns kommen aktuell vor allem die Kinder aus den 5. und 6. Klassen.” Neben Mathematik seien vor allem Deutsch und Englisch gefragt. Und dass an der Auszeit von der Schule für manchen etwas Gutes war, hat sie auch mitbekommen: „Für den einen oder anderen Schüler ist mit dem Lernen zu Hause der Leistungsdruck, wie sie ihn aus der Schule etwa durch viele Klausuren kannten, weggefallen. Das hat ihnen gut getan. Wir sind alle an diesen Corona-Monaten gewachsen“, sagt Steffi Jacobs.
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