Viele Gesichter hat der Krieg in der Ukraine. Die Bilder und Videos von Toten und Verwundeten, von zerstörten Häusern und Plätzen, von Menschen auf der Flucht gehören dazu. Ebenso die vielen Helfer, die Flüchtlingen Unterkunft, Versorgung, Betreuung bieten. Dazu gehören auch die Gesichter von Elina (28), Flugbegleiterin, und Vika (30), Floristin, und deren einjähriger Tochter Jewa. Die beiden Frauen sind dem Kriegsgrauen entkommen und mit dem Bus von Warschau aus erst kürzlich nach Vorpommern gelangt. Organisiert worden war diese Hilfsfahrt maßgeblich vom Liepgartener Bürgermeister Falk Becker und vielen Helfern aus der Region Ueckermünde.
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Seit ein paar Tagen sind die beiden Frauen und das kleine Mädchen nun in Liepgarten untergekommen und wohnen in einer Ferienwohnung von Christin Zeh. Für die Chefin des „Lindenhofes“ in Liepgarten war es keine Frage, die drei aufzunehmen. Doch damit ist es nicht getan, sagt Christin Zeh, denn für die Flüchtlinge ist es derzeit wichtig, dass sie bei den deutschen Behörden registriert werden. Das bedeute Sicherheit, weil es auch Voraussetzung ist, damit die Frauen und das Kind Leistungen erhalten, um zunächst einmal ihren Lebensunterhalt zu sichern. Denn als sie sich auf den Weg in Richtung Sicherheit gemacht haben, da hatten sie nur das Allernötigste bei sich, sagt Vika, einen Rucksack mit Wechselwäsche, ein paar Socken, Kleidung für das Baby. Mehr ging nicht, denn die Plätze in Bussen und Bahn waren zu knapp, als dass jemand großes Gepäck hätte mit sich führen können. „Wer zu viel dabei hatte, der musste sein Gepäck stehen lassen am Bahnhof“, sagt Elina.
Beide Frauen stammen aus einem Dorf bei Kiew. Es war ein ruhiges, überschaubares Leben, bis der Krieg begann. Dass es anders war, war unter anderem daran zu merken, dass zunächst kein Bus mehr regelmäßig vom und ins Dorf fuhr. So nutzen die drei die Gelegenheit, mit einem der Busse, die unregelmäßig vorbeikamen, in Richtung Westen zu fahren. Zunächst ging es in eine kleinere Stadt in der Nähe. „Von dort aus weiter mit dem Bus, wir haben viel Geld bezahlt, um mitzukommen – das war unsere einzige Chance, denn die Züge Richtung Polen waren zu voll, da wären wir nicht mitgekommen“, sagt Vika.
Es ging bis Lwiw/Lemberg. Dort war zunächst Warten angesagt. Nachts habe das Trio, wie viele andere auch, in Zelten auf dem Bahnsteig übernachtet. „Da waren Leute, die haben uns Essen gebracht und Tee“, berichte Elina. Allerdings waren nicht alle so hilfsbereit. Diebe, berichtet Vika, haben das Durcheinander ausgenutzt und die Tasche mit sämtlichen Dokumenten gestohlen. „Da waren die Pässe drin und die Arbeitsnachweise“, so Elina. Etwas, das natürlich jetzt die Registrierung in Deutschland erschwert.
Der tägliche Kontakt in die Heimat ist den beiden Frauen wichtig – per Internet und WhatsApp. Jeden Tag versuchen sie, das Neueste zu erfahren – und sind dabei auf das Schlimmste gefasst. Die jüngste Nachricht vom Bürgermeister ihres Dorfes war, dass alle Einwohner weg müssen. Bis auf die, die gegen die Okkupanten kämpfen. „Es gibt sehr oft Alarm, und dann verstecken sich die, die noch da sind“, sagt Elina. In Cherson, wo Verwandtschaft lebt, sei es noch schlimmer. Die Geschäfte haben nicht geöffnet. „Die Leute überleben nur, wenn sie von der Landwirtschaft leben, wenn sie an Kartoffeln herankommen oder auch Eier auftreiben“, sagt Vika. Brot gibt es, wenn überhaupt, nur zweimal in der Woche.
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Im Dorf bei Kiew, wo Elinas Mann lebt, sei es noch relativ ruhig. „Mein Mann befindet sich in der Wartephase“, sagt Elina. Die Familie dort lebe von der mageren Rente ihres Schwiegervaters. Von 20 bis 7 Uhr sei Ausgangssperre. „Wer dann rausgeht, wird als Saboteur behandelt“, sagt Elina. eine Schwester von Vika wartet mit Mann und Kind darauf, aus dem Gebiet wegzukommen. „Aber nicht alle können weg“, sagt Vika, es wäre also schön, wenn die humanitären Korridore funktionieren würden. Wobei es dennoch schwierig wäre, denn ein kleiner Flughafen bei Borispol in der Nähe von Kiew sei schon seit Wochen außer Betrieb. „Es war das erste Ziel, das die Okkupanten zerstört haben“, sagt Vika.
Bei aller Dramatik: Unterstützung hat das Trio stets gehabt. Bei ihrer mehrere Tage dauernden Flucht haben die beiden Frauen mit dem kleinen Kind immer wieder die Hilfe von Fremden erhalten. „Wir haben Essen, Tee, Kaffee bekommen, für die Kinder wurde extra gesorgt mit Milch und Brei“, sagt Elina. Das hat die Lage etwas erträglicher gemacht.
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Von der polnischen Hauptstadt Warschau aus sind die Drei nach Liepgarten gekommen. Dort hat der Migrationsdienst zunächst die Identität der Frauen bestätigt. „In Polen wurde gefragt, ob wir dort bleiben wollen oder nach Deutschland gehen“, sagt Elina. In Vorpommern angekommen, wurden sie von Christin Zeh in Liepgarten empfangen. Für die Geschäftsfrau war es keine Frage, ihnen ein Dach über dem Kopf anzubieten, wo sie zunächst einmal zur Ruhe kommen konnten. „Es ist mittlerweile schon etwas besser, die Frauen sind etwas ruhiger“, sagt Christin Zeh. Allerdings – den Gesichtern kann man immer noch ansehen, dass die beiden Frauen sich Sorgen manchen, dass sie sich fragen, wie es den Familien geht, ob der Krieg möglichst schnell beendet wird, wie es weitergehen soll.
Doch aktuell geht es um anderes – die Registrierung bei den deutschen Behörden. So ein Vorgang sei schon für Deutsche nicht immer ganz einfach. Für ukrainische Frauen aus dem Kriegsgebiet, die kein Deutsch sprechen, erst recht nicht. Gut, dass die Flüchtlinge Hilfe haben. Unter anderem von Anzhelika Matweeva. Die arbeitet bei Christin Zeh im „Lindenhof“. Und sie stammt aus Russland, ist 2003 von dort nach Deutschland gekommen. „Ich weiß also, wie es ist, in einem fremden Land zu sein, dessen Sprache man nicht beherrscht“, sagt sie. Es sei ihr ein Herzensbedürfnis, den ukrainischen Flüchtlingen zu helfen. „Ich sehe ein kleines Kind mit blauen Augen, und ich will, dass die Menschen in Frieden leben“, sagt die Russin. So wie es im „Lindenhof“ täglich praktiziert wird. „Wir sind hier eine internationale Truppe, die Leute kommen aus Deutschland, Spanien, Tschetschenien, Russland“, sagt Anzhelika Matweeva.
Und darin ist sie sich einig mit ihrer Chefin. Denn Christin Zeh sagt, dass es für die Flüchtlinge wichtig ist, erst einmal zur Ruhe zu kommen, dass sie Angebote für die Zukunft erhalten. Dass sie mit ihren Ängsten, Sorgen, Befürchtungen nicht allein bleiben. Dass jemand zuhört und nicht nur das, sondern den Frauen ganz praktisch hilft. Womöglich, sagt Christin Zeh, wird eine der beiden jungen Frauen im „Lindenhof“ einen Job finden – wenn denn alles so läuft wie geplant. Zwar habe sie gehört, dass viele Ukrainer, wenn der Krieg endlich vorbei sein wird, zurück wollen in ihre Heimat. „Aber es kann auch sein, dass sich für einige hier Perspektiven eröffnen – das wäre doch toll“, sagt die Liepgartenerin. Das aber ist Zukunftsmusik, denn zunächst einmal müssen Elina, Vika und Jewa ankommen.
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